Von der Ansicht zum Kulturfilm
Was ist ein Dokumentarfilm? Was unterscheidet ihn vom Spielfilm – und was von einem Nachrichtenbeitrag? Welche Möglichkeiten hat der Dokumentarfilm, die Wirklichkeit in Bild und Ton zu übersetzen? Und wie wirklich ist die Wirklichkeit, die er zeigt? Gibt es Grenzen in der Gestaltung? Diese Fragen sind untrennbar mit dem Dokumentarfilm verbunden – und mit seiner Geschichte.
Dokumentarische Aufnahmen sind so alt wie das Kino. Bis etwa 1905 werden davon sogar mehr produziert als Filme mit Spielhandlung, auch wenn letztere in den Kinoprogrammen überwiegen.
Ausschnitte der Wirklichkeit
Anfangs bestehen sie aus einer einzigen unbewegten Einstellung. Ihre Länge beträgt nur ein bis zwei Minuten – dafür reicht das Filmmaterial im Magazin der Kamera genau aus.
Sie zeigen Ausschnitte der Wirklichkeit, die als sehenswert empfunden werden: Landschaften, öffentliche Plätze, Adelshäuser, Arbeitsabläufe, Unfälle, Rekorde. Dabei bieten sie einen weitestgehend unverstellten Blick auf das Geschehen. Man nennt sie deshalb Ansichten. Im Kino werden sie als Attraktionen zur Schau gestellt. Es gilt daher, möglichst spektakuläre Motive zu finden.
Bald schon werden im Schnitt auch mehrere Einstellungen aneinandergereiht. Die Montage ist simpel: Die Einstellungen stehen als bloße Abfolge von Aufnahmen nebeneinander.
Von dokumentarischen Filmen ist damals noch nicht die Rede. Diese werden in Deutschland lange als Kulturfilme bezeichnet. Damit sind ganz allgemein Filme gemeint, die das Publikum bilden sollen. Auch manche Spielfilme, zum Beispiel Die Nibelungen (D 1924, R: Fritz Lang), werden als Kulturfilm wahrgenommen.