In den 1920er-Jahren prägt der britische Filmemacher John Grierson den Begriff Dokumentarfilm und schlägt damit ein neues Kapitel in der Filmgeschichte auf.
John Grierson definiert den Dokumentarfilm als „kreativen Umgang mit der aktuellen Wirklichkeit“.
Die Filmschaffenden sollen nicht nur etwas Vorhandenes zeigen, sondern das „natürliche Material“ mit den Mitteln des Films neu ordnen, gestalten und aus ihrer Sicht interpretieren. Die Idee vom Dokumentarfilm als Kunstwerk ist geboren.
Auswählen & gestalten
Was damit gemeint ist, wird an Griersons eigenem Film Drifters (GB 1929) deutlich. Zentrales Gestaltungsmittel ist die Montage, also die Auswahl und Zusammenstellung getrennt voneinander aufgenommener Einstellungen beim Filmschnitt.
„Wir lieben die Stürme, die brausenden Wogen“: Nordseefischer bei der Arbeit in Drifters (GB 1929)
Drifters ist beeinflusst von den modernen Werken der Filmavantgarde. In Robert Flahertys Nanook of the North und Moana, Dziga Vertovs Der Mann mit der Kamera und Walter Ruttmanns Berlin – Die Sinfonie der Großstadt sieht Grierson seine Idee vom Dokumentarfilm verwirklicht.
Längst nicht jede dokumentarische Aufnahme ist ein Dokumentarfilm. Gierson grenzt das künstlerische Genre von Wochenschaubeiträgen, Lehr- und Wissenschaftsfilmen ab. Er legt damit den Grundstein für eine Unterteilung dokumentarischer Formate, wie wir sie bis heute vornehmen.
Der (Kino-) Dokumentarfilm ist eine Kunstform, die die individuelle Handschrift des:r Regisseur:in aufweist. Die filmischen Gestaltungsmittel (Kameraeinstellungen, Bildkomposition, Montage usw.) werden eingesetzt, um eine Geschichte emotional erfahrbar zu machen oder einer bestimmten Sichtweise auf ein Thema künstlerisch Ausdruck zu verleihen.
Dokumentationen entstehen für das Fernsehen und verfolgen einen journalistischen Anspruch. Sie wollen informieren und möglichst objektiv und sachlich über ein Thema aufklären. Typischerweise kommen Interviews mit Expert:innen, ein unpersönlicher Off-Kommentar, Archivmaterial oder Statistiken zum Einsatz.
Die Reportage ist ein Fernseh-Format. Im Gegensatz zur Dokumentation informiert sie nicht umfassend über ein Thema, sondern konzentriert sich auf einen Ausschnitt, beispielsweise ein einzelnes Schicksal. Reporter:innen nehmen das Publikum mit an den Schauplatz des Geschehens und erzählen aus ihrer Perspektive von Erfahrungen und Begegnungen vor Ort. Ihre persönliche Sicht kann und soll dabei deutlich werden.
Doku-Soaps bereiten dokumentarisches Material als Mehrteiler auf. Dabei orientieren sie sich an dramaturgischen Prinzipien von fiktionalen Serien: Sie sind gescripted, d.h. sie haben ein Drehbuch als Vorlage, oft laufen mehrere Erzählstränge parallel, es gibt einen Spannungsbogen, Cliffhanger am Ende jeder Folge machen neugierig auf die nächste. So soll besonders unterhaltsam und emotionalisierend erzählt werden, um das Publikum zu fesseln.