Wirklichkeit im Quadrat
Die Daguerreotypie erobert in Windeseile die Welt. In Deutschland, Frankreich, England und den USA eröffnen Porträtstudios, Foto-Ateliers und Galerien. Man reißt Daguerre die eilends hergestellten Kameras und Lehrbücher aus den Händen.
Anders als Fotopapier sind Daguerreotypien nicht biegsam, eher schwer, dafür aber genau, detailreich und scharf. Sie haben spiegelnde Oberflächen und sind äußerst empfindlich.
Die Daguerreotypie ist dennoch ein voller Erfolg. In Japan konstruiert der Adlige Shimazu Nariakira sogar einen eigenen Apparat.
Gebannt werden auf die kleinen Metallplatten vor allem Porträts, aber auch Reisebilder, Stillleben und Aktfotos.
Schmuckstücke
Jede Daguerreotypie ist ein Unikat. Das macht den Besitz umso wertvoller. Die Abbilder einer ganz neu erlebten Wirklichkeit sind Schmuckstücke. Sie werden liebevoll gerahmt, koloriert und manchmal auch mit sich herumgetragen.
Weil die Metallplatten so empfindlich sind, werden sie oft in Schmucketuis oder speziellen Rahmen aufbewahrt.
Handfeste Probleme lassen sich aber nicht leugnen. Vor allem für die Fotograf:innen sind die giftigen Quecksilberdämpfe eine Belastung. Bei drei bis 20 Sekunden Belichtungszeit gleichen die Porträtsitzungen im Fotoatelier – manchmal werden sogar Kopfstützen eingesetzt – einem Martyrium.
Und immer noch muss man die überdies spiegelverkehrten Bildchen gegen das Licht drehen und wenden, um sie positiv sehen zu können.
Es gibt viele Gründe, warum die Daguerreotypie bereits ab 1850 von handlicheren Papierverfahren abgelöst wird.
Fotografierter Krieg
Besonders lange hält sich das Format aber in den USA. Der nordamerikanische Bürgerkrieg wird zum ersten fotografierten Krieg der Weltgeschichte.
Zwar schockieren Bilder gefallener Soldaten die Zeitungsleser:innen, Abbildungen vom eigentlichen Kampfgeschehen hingegen können die Fotograf:innen nicht liefern. Für den Einsatz in der Schlacht sind die Kameras zu unhandlich. Auch der heikle Transport lichtempfindlicher Chemikalien erschwert ihren Einsatz.
Porträts für jeden Geldbeutel
Eine Chance ist die Daguerreotypie nicht zuletzt für Menschen, die sich einen Porträt-Maler nicht leisten können. Natürlich machen sich auch Reiche und Mächtige die hübschen Miniaturen zunutze.
1860 wird der US-amerikanische Präsidentschaftsanwärter Abraham Lincoln durch die Daguerreotypien im ganzen Land bekannt – damals noch ohne Bart.
Das Lincoln-Porträt des Fotografen Mathew Brady aus dem Jahr 1864 wird fünfzig Jahre später auf die 5-Dollar-Note gedruckt. Abgewandelte Daguerreotypie-Motive finden sich in den USA daher bis heute in fast jeder Hosentasche.