Native Americans haben von Anfang an einen zentralen Platz im Western. Ihre Darstellung aus euroamerikanischer Perspektive ist jedoch durch rassistische Stereotype geprägt, die das Genre erst nach Jahrzehnten langsam aufbricht.
Bereits 1894 produziert die Edison Company Filmaufnahmen von Native Americans für das Kinetoscope, einen Vorläufer des Kinos. Laut Kinetoscope-Katalog zeigen die Bilder „echte Sioux Indianer in voller Kriegsbemalung und Kriegskleidung“ beim Tanzen.
Tatsächlich handelt es sich um kostümierte Darsteller:innen aus Buffalo Bill’s Wild West Show. Schon bevor das Westerngenre existiert, greift das neue Medium Film also das in Groschenromanen und Shows entworfene Klischee der „kriegerischen Sioux“ auf.
Komparserie
Als sich um 1910 die ersten Studios in Hollywood niederlassen, engagieren Filmfirmen indigene Akteur:innen aus „Wildwest“-Shows. Sie sollen Massenszenen in Western realistischer wirken lassen.
In den folgenden Jahrzehnten stehen Native Americans fast ausschließlich als Kompars:innen vor der Kamera. Dabei scheint es egal, welcher Gruppe sie angehören – Kostüm und Rolle im Film entsprechen fast immer dem kriegerischen Zerrbild vermeintlicher Sioux .
Angriff
Ab den 1920er Jahren werben die Studios in den von der US-Regierung eingerichteten Reservaten Native Americans an. Da dort Armut herrscht, stellen Filmjobs eine willkommene Verdienstmöglichkeit dar.
Auch in John Fords Stagecoach von 1939, der als Westernklassiker schlechthin gilt. Gleichzeitig ist er typisch für die diskriminierende Darstellung von Native Americans im Genre.
Der Film folgt einer Reisegruppe, die mit einer Postkutsche durch ein Gebiet der Apachen fahren. In der Prärie wird die Kutsche durch berittenen Krieger angegriffen, gespielt von Native Americans.
Ford inszeniert die Angreifer:innen als fremdartig und grausam. Die historische Wahrheit des Völkermords an den Native Americans durch die Weißen kehrt der Film so quasi um.
Ausgrenzung
Komplexere Rollen für Native Americans sehen die Hollywood-Drehbücher lange Zeit nicht vor – wenn, dann sind sie mit kostümierten weißen Darsteller:innen besetzt. Diese rassistische Praxis des Redfacing ist zunächst vor allem ein Zugeständnis an konservative weiße Kinogänger:innen, die eine „Rassentrennung“ auch auf der Leinwand einfordern.
People of Color waren lange Zeit in Hollywood und in der europäischen Filmindustrie kaum präsent. Und nicht nur das: Die vorwiegend von Weißen für ein weißes Publikum produzierten Filme bedienten und prägten auch in erheblichem Maß rassistische Vorstellungen.
Besonders berüchtigt ist in diesem Zusammenhang das sogenannte Blackfacing. So wird die Praxis bezeichnet, weiße Schauspieler:innen mit dunkel geschminktem Gesicht Schwarze Personen spielen zu lassen. Häufig geschah (und geschieht) dies in herabwürdigender Absicht – ein bekanntes Beispiel dafür ist David Wark Griffith‘ Epos The Birth of a Nation (Die Geburt einer Nation, USA 1915). Aber auch Yellowfacing war für die Darstellung z.B. von Menschen aus China über viele Jahrzehnte gängig.
Aufgrund der Popularität des Western-Genres wurde wohl am häufigsten Redfacing praktiziert. Dass dies noch immer vergleichsweise wenig problematisiert wird, liegt vermutlich auch daran, dass Auftritte weißer Schauspieler:innen als Native Americans oft das „positiv“-rassistische Klischee des „edlen Wilden“ bedienen – die bundesdeutschen Karl-May-Filme mit dem weißen Pierre Brice in der Rolle des Apachen Winnetou sind bekannte Beispiele dafür. Dass Redfacing kein Phänomen vergangener Tage ist, beweist TheLone Ranger (Lone Ranger, USA 2013, R: Gore Verbinski), in dem Johnny Depp einen Native American spielt.
Apache (USA 1954)
Auch die progressiven Western der 1950ern- und 1960er setzen auf weiße Starpower in Hauptrollen, die Native Americans darstellen. Idole wie Rock Hudson zeigen viel Haut – die Darstellung dieser Filmfiguren in Western ist auch erotisch aufgeladen.
Oft sprechen die Hollywoodstars ein klischeehaftes Englisch, das durch einfache Satzkonstruktionen, Floskeln und übertrieben bildhafte Redewendungen geprägt ist.
Absurderweise erlebt das Redfacing seinen Höhepunkt, als Western die negative Darstellung der Native Americans zunehmend hinterfragen. In Filmen wie Broken Arrow (USA 1950) tauchen plötzlich vermeintliche Apachen auf, die auf das Publikum anziehend und sympathisch wirken – gespielt werden sie aber von beliebten weißen Hollywoodstars.
Jeff Chandler, stark geschminkt, als Cochise in Broken Arrow (1950)
Gegenkultur
Die Gegenkultur der 1960er-Jahre räumt endgültig mit dem Mythos der heroischen „Eroberung des Westens“ auf. New-Hollywood-Western wie Arthur Penns Little Big Man (USA 1970) zeichnen die Lebensweise der Native Americans nun als idealisierten Gegenentwurf zum zerstörerischen American Way of Life und bieten ihnen erstmals tragende Rollen an.
Chief Dan George als Old Lodge Skins in Little Big Man (1970)
Erst 1990 unternimmt Kevin Costner mit Dances with Wolves (Der mit dem Wolf tanzt, USA 1990) den Versuch, Kultur und Sprache der Native Americans wirklichkeitsgetreu abzubilden. Doch auch sein Westernepos bleibt letztlich der weißen Perspektive verhaftet.
Kevin Costner
Graham Greene
Kultur & Sprache
Dances with Wolves
Zwar ist die Präsenz von Native Americans als Schauspieler:innen und die Sensibilität für die Vielfalt der Kulturen im Genre seither gewachsen. Trotzdem: Ein großer Western aus dem Blickwinkel der Native Americans steht immer noch aus.
Die Aufmerksamkeit der Filmindustrie erlangt eine Gruppe Native Americans 1973 auf ganz andere Art. Bei der Oscar-Verleihung lehnt die 26-jährige Schauspielerin und Aktivistin Sacheen Littlefeather im Namen von Marlon Brando den Oscar als Bester Hauptdarsteller für seine Rolle in The Godfather (Der Pate, USA 1972) ab.
Das Publikum reagiert mit Buhrufen und Applaus, als Littlefeather erklärt, Brando nehme die Auszeichnung nicht an, um gegen die Behandlung von Native Americans durch die amerikanische Filmindustrie zu protestieren.
Clint Eastwood, der kurz darauf den Preis für den besten Film präsentiert, kommentiert sarkastisch: „Ich weiß nicht, ob ich diesen Preis im Namen aller Cowboys überreichen soll, die im Laufe der Jahre in allen John-Ford-Western erschossen wurden.“
Erst 50 Jahre später, im Jahr 2022, entschuldigt sich die Academy of Motion Picture Arts and Sciences in einem Brief an Sacheen Littlefeather: „Die Beschimpfungen, die Sie wegen dieser Erklärung erlitten haben, waren unvertretbar und unberechtigt“, so der Präsidenten der Oscar-Akademie, David Rubin. „Dafür entschuldigen wir uns zutiefst und sprechen Ihnen zugleich unsere ehrliche Bewunderung [für Ihren Mut, A.d.R.] aus.“