Liebe auf den ersten Blick
Es ist Liebe auf den ersten Blick: Die schöne Fee Pari Banu legt ihr Federkleid ab und gleitet anmutig in den Zaubersee. Das Wasser kräuselt sich um ihre schmalen Fesseln. Der Wald spiegelt sich auf der Oberfläche. Um Achmed, verborgen hinter Palmenwedeln, ist es unwiderruflich geschehen.
Diese Szene stammt aus Lotte Reinigers Silhouetten-Trickfilm Die Abenteuer des Prinzen Achmed (D 1926), mit dem sie Filmgeschichte schreibt: Ihr Film gilt mit 66 Minuten als der erste abendfüllende Animationsfilm.
Bis dahin war Animationsfilm in der Regel ein kurzer Spaß. Er sollte sein Publikum zum Lachen bringen, es amüsieren. Doch Lotte Reiniger erzählt innerhalb einer Stunde eine komplexe und dramaturgisch ausgefeilte Geschichte.
Tausendundeine Nacht
Dafür nutzt sie zahlreiche Motive aus der europäischen Version der Erzählsammlung Tausendundeine Nacht.
Zwischentitel – es ist ein Stummfilm – verbinden die Handlungsstränge und Episoden.
Held:innen, Ungeheuer, Zauberer
In Die Abenteuer des Prinzen Achmed wird gekämpft und geliebt. Die Helden sind tapfer, die Frauen schön, die Ungeheuer grausig.
Lotte Reiniger erschafft mit ihren filigranen Scherenschnitten und detailreichen Hintergrundbildern eine Fantasiewelt. Hier gibt es Paläste, Minarette, Arabesken und verwunschen erscheinende Landschaften. Das wirkt ebenso märchenhaft wie die Figuren des Films, ist aber auch voller diskriminierender Klischees.
Dass sie ihren Film realisieren kann, verdankt Lotte Reiniger dem Bankier Louis Hagen, dessen Kinder sie gemeinsam mit ihrem Mann unterrichtet. Hagen schlägt ihr das Projekt vor, stellt ihr ein Atelier in Potsdam zur Verfügung und finanziert den Film.
Tausendundein Tag
Drei Jahre lang – angeblich genau 1001 Tage – arbeiten die Künstlerin und ihr Team an dem Film. Etwa 250.000 Einzelbilder nehmen sie mit der Kamera auf, von denen sie 96.000 verwenden. Ein enormer Arbeitsaufwand, zumal im Bild meist mehrere Figuren und Elemente gleichzeitig bewegt werden.
Die Abenteuer des Prinzen Achmed bleibt Lotte Reinigers einziger Langfilm. Sie produziert fortan ausschließlich Kurzfilme oder animiert Sequenzen für andere Filmschaffende, etwa für Jean Renoir und seinen Film La Marseillaise (F 1938).