Erfinden, Experimentieren, Scheitern
Eigentlich soll es in Ulrich K. T. Schulz‘ erstem Film um Flöhe gehen. Das Drehbuch liegt schon vor. Doch das Vorhaben scheitert: Für die stark vergrößernden Aufnahmen ist Anfang der 1920er-Jahre „eine derartige Lichtmenge nötig, dass selbst die kräftigsten Flohstars unter dem Licht der Mikro-Bogenlampe ihr Leben nach wenigen Sekunden aushauchten“, schreibt der junge Biologe.
Von Beginn an ist im Tierfilm Erfindungsgeist gefragt, um anschauliche Aufnahmen von den tierischen Protagonist:innen anzufertigen. Aus tierrechtlicher Perspektive gestaltet sich das zuweilen problematisch, wie das Floh-Experiment zeigt.
Schulz entscheidet sich schlussendlich, auf den weniger empfindlichen Hirschkäfer auszuweichen. Er konstruiert eine spezielle Lupenoptik, die Großaufnahmen des Käfers ermöglicht.
Naturdoku oder Horrorfilm? So detailliert hat man den einheimischen Hirschkäfer Anfang der 1920er-Jahre noch nie gesehen. Auf der Leinwand muss die überdimensionale Großaufnahme ein echter Schocker gewesen sein.
Gedreht wird im Wald, aber auch im Labor. Unter Terrariums-ähnlichen Bedingungen lassen sich die kleinen Tiere sehr viel leichter ablichten als in freier Wildbahn. Dabei wird das Leben des Hirschkäfers dramaturgisch auf wenige Situationen verdichtet: Geburt, Paarung, Überlebenskampf, Tod.
Der Hirschkäfer ist der erste Kulturfilm im deutschen Kino. Die meisten davon werden von der Ufa (Universum Film AG) produziert, dem größten deutschen Filmunternehmen. Als Vorprogramm zum eigentlichen Hauptfilm sollen sie das Publikum auf unterhaltsame Weise bilden und erziehen.
Bildung für die Massen
Viele Kulturfilme sind biologische Lehrfilme. Sie zeigen das Verhalten von einheimischen Insekten, Fröschen, Kriech- und Säugetieren. Darüber ist in der breiten Bevölkerung kaum etwas bekannt. Seltener gibt es auch exotische Tiere zu sehen. Die werden aber vorerst nur in Zoos gefilmt.
Der Tierfilm macht verborgene Lebenswelten sichtbar. So liefert er auch neue Erkenntnisse für die Wissenschaft.
Kunst & Technik
Umgekehrt führt der Forschungsdrang zur Entwicklung und Erprobung neuer Aufnahmetechniken. Mit Teleobjektiven lassen sich bald auch sehr scheue Tiere aus großer Entfernung beobachten.
In rasantem Tempo werden Techniken entwickelt, um in immer neue Bereiche vorzudringen. Auf besonders lichtempfindlichem Filmmaterial kann die Welt nachtaktiver Tiere dokumentiert werden. Mittels Zeitraffer wachsen Pflanzen vor den Augen des Publikums.
Mit Unterwasserkameras gelingen erste Aufnahmen unter der Wasseroberfläche. Mikrokameras filmen schließlich auch kleinste Insekten und Mikroben unter dem Mikroskop.
Der Erkenntnisdrang kennt keine Grenzen. Sogar ins Innere von Mensch und Tier stößt das Kino in den 1930er-Jahren mit dem Röntgenfilm vor.
Die Geschichte des biologischen Films bleibt eine des Experimentierens und so auch eine Geschichte des Scheiterns. Wie Ulrich K. T. Schulz stößt Martin Rikli auf Grenzen. Seine Idee, das gebrochene Herz eines Mädchens im Röntgenbild aufzunehmen, zerschlägt sich – aus naheliegenden Gründen.