Lebende Plakate
Zu Beginn des neuen Jahrhunderts ist die Werbewelt im deutschen Kaiserreich lebhaft und erfindungsreich. Mit Anzeigen und Plakaten, Briefeinwürfen und Flugblättern, Abreißkalendern und Sammelalben wird für Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs geworben – oder das, was manche Anbietende dafür halten.

Als der junge Volkwirt Julius Pinschewer zum ersten Mal ein Lichtspieltheater besucht, hat er einen zündenden Gedanken. Das Kinoprogramm gleicht für ihn einer lebenden Zeitungsnummer. Darin fehlt allerdings eines: der Anzeigenteil. Aus seiner fixen Idee – der Kinoleinwand als Werbefläche – macht er ein erfolgreiches Geschäftsmodell.
Die erste deutsche Werbefilmproduktion

1910 gründet Pinschewer die erste deutsche Werbefilmproduktion. Die Filmherstellung ist vergleichsweise teuer. Seine Auftraggeber muss Pinschewer erst von den Vorteilen überzeugen: Nirgendwo kann Werbung so viele gebannte Augen auf einmal erreichen, nirgendwo so direkt wirken wie im neuen „Überwältigungsmedium“ Kino.
Pinschewer sorgt dafür, dass der Werbefilm Bestandteil des Kinoprogramms wird. Schon 1912 hat er nach eigenen Aussagen mit 500 deutschen Kinos – einem Viertel aller vorhandenen – exklusive Verträge abgeschlossen. Vor jeder Vorstellung läuft ein kurzer Pinschewer-Werbefilm mit einer Länge von ein bis zwei Minuten.
Der früheste überlieferte Pinschewer-Film bewirbt ein Geschäft für Damenunterwäsche und nutzt dokumentarische Elemente, um die Eleganz des Angebots ins Bild zu setzen.
Die Korsett-Anprobe (D 1910, R: Julius Pinschewer)
Der Film ist überall in Berlin im Kino zu sehen. Zur gleichen Zeit sind die Straßen mit passenden Plakaten gepflastert – ein frühes Beispiel für eine medienübergreifende Marketingkampagne.

Im Zusammenspiel ist klar, was Pinschewer meint, wenn er seine Werbefilme als lebende Plakate bezeichnet.