1903 bringt die Edison Company The Great Train Robbery (Der große Eisenbahnraub) in die Kinos. Der 12-minütige Spielfilm von Edwin S. Porter gilt als der erste richtige Western der Filmgeschichte und nutzt Filmtricks, Kamerabewegung und Schnitt.
Er bringt alles mit, was einen Action-Movie ausmacht: Verfolgungsjagden, Schießereien und Gewalt. Alle sind ständig in Bewegung: zu Fuß, auf einer Lok, zu Pferde.
Innovativ ist der Film vor allem im Einsatz des sich gerade erst entwickelnden Filmschnitts und erster Kamerabewegungen.
In 14 Szenen wird die Geschichte des Überfalls auf einen Eisenbahnzug erzählt. Lange Totalen geben dem Publikum stets eine Übersicht über das Geschehen.
Die einzige Nahaufnahme des Films – der Bandit, der ins Publikum schießt – hat für die Handlung keinerlei Bedeutung. Sie ist ein reiner Werbegag. Den Kinobesitzer:innen wird freigestellt, sie am Anfang oder am Ende der Vorführung zu zeigen.
Der große Eisenbahnraub ist der erste einflussreiche narrative Film, bei dem der Filmschnitt bewusst über das technisch Notwendige hinausgeht und dadurch zur Erzählung beiträgt.
Der große Eisenbahnraub (1903) – HIER FEHLEN NOCH DIE INTERAKTIVEN HOT SPOTS!!!
Nicht nur im Schnitt kommen erstmals filmische Mittel zum Einsatz, die heute zum Standardrepertoire gehören. Viele Dinge, die aus heutiger Sicht unspektakulär erscheinen, sind damals neu und ungewohnt:
In Parallelmontagen springt Porter zwischen gleichzeitig stattfindenden Ereignissen hin und her. Diese Schnitttechnik dient auch heute noch der Spannungssteigerung, wenn z.B. die Einbrecherin schon das Türschloss aufbohrt, während der Bewohner nichtsahnend entspannt in der Badewanne liegt. Die Zuschauer:innen sind so mit ihrem Wissen dem der Protagonist:innen voraus und hoffen, dass die Einbrecherin frühzeitig gestoppt werden kann.
Der Sheriff und seine Männer stürmen aus dem Saloon, in der nächsten Szene verfolgen sie die Banditen schon auf Pferden. Wie sie die Banditen aufgespürt haben, erfährt das Publikum nicht. Mit diesen Zeitsprüngen bringt Porter die Handlung schneller voran. Bewusste Auslassungen, deren fehlende Teile die Zuschauer:innen im Kopf ergänzen, heißen Ellipsen.
Porter ist wenig zimperlich mit Gewaltdarstellungen. Beim Handgemenge auf der Lok werfen die Gangster den Heizer vom Zug – natürlich nicht den echten Schauspieler, sondern eine Puppe. Dazu wird im Stopptrick-Verfahren die Kamera angehalten und der auf dem Boden liegende Mann durch eine Puppe ersetzt. Dann wird die Aufnahme fortgesetzt. Im Film sieht es fast wie eine durchgehend gedrehte Einstellung aus.
Die Kamera bleibt in Der große Eisenbahnraub zwar überwiegend statisch. Es kommen jedoch auch bereits Kamerabewegungen zum Einsatz, die der Erzählung dienen: Die Kamera folgt den fliehenden Banditen mit einem Schwenk. Die Zuschauer:innen erfahren, wo und wie es weitergeht.
Der große Eisenbahnraub ist ein riesiger kommerzieller Erfolg. In den aufstrebenden amerikanischen Kinos gehört der Film jahrelang zum Standardrepertoire. Bei Herstellungskosten von nur 150 US-Dollar wird er zu einem der einträglichsten Filme der Edison Studios.